Molba

Plädoyer für die Sprachbezeichnung Bosnisch

In Bosnien und der Herzegowina ist die ethnonymische Zuordnung relativ einfach, die Sprachenfrage aber komplex. Die heute “souveräne”, international anerkannte Republik Bosnien und Herzegowina hat es als eigenes Land seit dem Mittelalter gegeben. Das Ethnonym Bosnier (bošnjak / bošnjakinja, bosanac / bosanka) war klar und stand bis zur großserbischen Aggression von 1991 in der Hierarchie der ethnonymischen Identität an erster Stelle.

Man war Bosnier, dann erst serbischer, kroatischer, mohammedanischer Bosnier. Heute hat sich durch die nationale Aufhetzung von außen (von den Zentren Belgrad, Agram) die Hierarchie geändert. Man ist jetzt bosnischer Serbe oder bosnischer Kroate. Die Mohammedaner bleiben störenderweise Mohammedaner.

Infolge der vor allem von serbischer Seite seit über 100 Jahren betriebenen Zuordnung zum Serbentum (KARADŽIĆ spricht von orthodoxen, katholischen und mohammedanischen Serben) wurde auch die glottonymische Zugehörigkeit zu einer (bis heute) ungelösten Frage. Die serbischen und kroatischen Bosnier hätten kein Problem gehabt, ihre Sprache als serbisch
oder kroatisch zu bezeichnen. Die mohammedanischen Bosnier aber wären gezwungen gewesen, eine Entscheidung zu treffen, die sie nicht treffen konnten noch wollten.

Da es lächerlich gewesen wäre, ihre Sprache als mohammedanisch zu bezeichnen, obwohl ihr Mohammedanertum seit Tito als nationales (ethnonymisches) Bekenntnis anerkannt wurde, ging man der Frage einfach aus dem Weg. Dieser kulturellen Buntheit Bosniens trug man in der Monarchie Rechnung.

In den vierzig Jahren österreichisch-ungarischer Verwaltung (1878-1918) vermied man es im Schulwesen, die Sprache der Bosnier zu benennen. Wer immer in den letzten Jahren einen Bosnier fragte, ob er Serbe oder Kroate sei, ob er serbisch oder kroatisch spreche, erhielt ein erstauntes und verständnisloses Achselzucken zur Antwort – eine meiner ersten (lehrbuch-unkonformen) slawistischen Ertahrungen.

Nur in Bosnien hätte das Glottonym serbokroatisch eine gewisse Chance gehabt, jedoch auch wieder eher negativ, nämlich weder serbisch noch kroatisch. Man konnte und wollte sich nicht festlegen.

Dieses Sich-Entscheiden-Sollen ist der rote Faden der bosnischen Geschichte. Soweit man diese bosnische Frage zurückverfolgen kann, sieht man, daß die Bosnier immer der Entscheidung aus dem Weg gingen, indem sie eine dritte Variante suchten und so dem Gesinnungsterror: orthodox oder katholisch, serbisch oder kroatisch entgingen. Im Mittelalter war für sie das Bogumilentum ein rettender Ausweg. Nirgendwo fand es so viele Anhänger wie in Bosnien.

Nach dem Vormarsch der Türken bot der Islam eine günstige Gelegenheit, der Entscheidung auszuweichen. Nirgendwo auf dem Balkan hat man in so großer Zahl und so freiwillig den Islam angenommen. Es ist ein Zynismus großserbischer Ideologie, die mohammedanischen Bosnier für zwangsweise islamisierte Serben (kroatische Variante: für Kroaten) zu halten.

Im übrigen ist es den heutigen mohammedanischen Bosniern völlig egal, ob ihre Vorfahren vor 500 Jahren Serben oder Kroaten waren. Durch ihre Lage an der tektonischen Bruchstelle zwischen West- und Ostrom sind die Bosnier, beides kennend, weise geworden und haben sich für anderes interessiert. Sie sind die besseren Europäer!

Wer in ihnen die Gefahr eines islamischen Fundamentalismus sieht, kennt ihre Geschichte nicht, Die wahre Gefahr in Bosnien kommt vom christlichen (dem orthodoxen und katholischen) Fundamentalismus. Wer wie die Serben (und die Kroaten) als erstes islamische Moscheen und Minarette unter Jubelgejohle zerschießt, kann dem anderen nicht Fundamentalismus vorwerfen. Wenn der “christliche” Westen den angegriffenen Mohammedanern keine Waffen zur Selbstverteidigung gibt, erkennt man, wie weit die “fundamentalistische” Propaganda gewirkt hat.

Nach all diesen Erfahrungen gibt es für die Bosnier, um wieder in Frieden leben zu können, einen Ausweg, – und der ist terminologischer Art: man bezeichne sich (wie früher) als Bosnier und seine Sprache, wie immer sie linguistisch beurteilt wird, ohne den Makedonischen Fehler einer Neusprache zu wiederholen, der niemandem außer den Serben etwas gebracht
hat, einfach als bosnisch.

Diese Möglichkeit sollte allen offenstehen und von allen angenommen werden: von Mohammedanern, wie von den aus der Ferne aufgehetzten und genötigten “serbischen” und “kroatischen” Bosniern.

Zivio bosanski jezik!

Otto Kronsteiner

bs_BABS